Unser Trinkwasser ist zunehmend mit Pestizidrückständen belastet

Pflanzenschutzmittel verschmutzen zunehmend das Grund- und Trinkwasser. Wasserversorger und Kantonschemiker fordern ein Eingreifen des Bundes.

Schweizer Bauern verspritzen laut einer Studie des Bundesamtes für Umwelt doppelt so viel Pflanzenschutzmittel wie Landwirte in Deutschland oder Österreich (saldo 17/11). Ihr lockerer Umgang mit Pflanzengiften wird zur Bedrohung für das Schweizer Trinkwasser: 70 Prozent des Grundwassers im Mittelland enthalten laut Bundesamt für Umwelt bereits zu hohe Mengen an Pestizidrückständen und Abbauprodukten. Das Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern prognostiziert in einer Studie von 2012 eine zunehmende «Belastung der Gewässer». Laut einer Untersuchung der Sendung «Kassensturz» vom November 2012 stammen drei Viertel der Chemikalien im Trinkwasser aus der Landwirtschaft. Den Rest steuern Medikamente oder Putzmittel bei.

80 Prozent des Schweizer Hahnenwassers stammen aus ungefiltertem Grundwasser. So gelangen Verunreinigungen in den menschlichen Körper. Experten sehen angesichts geringer Konzentrationen bislang keine Gesundheitsgefahren. Die Langzeitfolgen sind aber unklar. Französische und britische Biologen wiesen nach, dass Schadstoffe im Wasser die menschliche Schilddrüse beeinträchtigen und Fischmännchen Eier statt Spermien produzieren lassen.

Über 120 Pestizide erst im Nachhinein als gefährlich eingestuft
Der Bund verharmlost die Risiken. So unterscheidet das Bundesamt für Landwirtschaft zwischen «relevanten» und «nicht relevanten» Abbauprodukten von Pflanzenschutzmitteln im Wasser. Die «relevanten» Stoffe seien potenziell giftig für Menschen, Tiere und Pflanzen und unterliegen Grenzwerten. Die «nicht relevanten» stellten «kein inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt» dar. Für sie gab es bisher keine Grenzwerte. Die Kantonschemiker haben keine Handlungsgrundlage.

Dabei sind «nicht relevante» Abbauprodukte oft gar nicht harmlos, wie das Beispiel Chloridazon zeigt. Das Pflanzenschutzmittel kommt im Rübenanbau zum Einsatz. Bei der Wasserreinigung mit Ozon entsteht daraus Azauracil, das Mensch und Umwelt schädigen kann.

Das ist kein Einzelfall. Seit 2005 zogen die Behörden über 120 Pflanzenschutzmittel aus dem Verkehr, die sich nach der Zulassung grösstenteils als gefährlich entpuppten. Für Roman Wiget, Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung in Worben BE, beweist dies, dass «verlässliche Prognosen über Langzeitwirkungen ‹nicht relevanter› Abbauprodukte nicht möglich sind».

Der Bund drückt sich weiter um seine Verantwortung
Auch die Zürcher Toxikologin Margret Schlumpf hält den Begriff «nicht relevant» für irreführend: «Er besagt nur, dass bisher Daten fehlen, wie Abbauprodukte im menschlichen Körper wirken.» Das Bundesamt für Landwirtschaft verteidigt die Unterscheidung. Sonst müsse man «zahlreiche» Pflanzenschutzmittel verbieten, ohne dass deren Giftigkeit feststehe. Den Bauern drohten dadurch Ernteausfälle.

Laut Kurt Seiler, Kantonschemiker der Kantone Appenzell, Glarus und Schaffhausen, drückt «der Bund sich weiter um seine Verantwortung». Schweizer Wasserwerke stossen ins gleiche Horn. Laut ihrem Verband, dem Verein des Gas- und Wasserfaches, gehören «künstliche, langlebige Fremdstoffe nicht ins Grund- und Trinkwasser». Die Konsumenten hätten ein Recht auf ein möglichst reines Grundnahrungsmittel. Die Wasserversorger und Kantonschemiker fordern:

- Trinkwasser darf pro Liter generell nicht mehr als 0,1 Mikrogramm langlebige, künstliche Stoffe enthalten.
- Behörden dürfen nicht länger zwischen «relevanten» und «nicht relevanten» Abbauprodukten im Wasser unterscheiden.
- Landwirte dürfen Pestizide nicht mehr in der Nähe von Trinkwasserfassungen einsetzen.

Laut den Wasserversorgern käme alles andere die Steuerzahler und Konsumenten teuer zu stehen. Müssen die Wasserwerke in Zukunft mehr Trinkwasser aufwendig reinigen, entstehen laut Roman Wiget schnell Kosten in Milliardenhöhe. Für ihn ist das der falsche Weg: «Die Kosten tragen dann die Konsumenten, die Verursacher kommen ungeschoren davon.»

@ 06. März 2013 | Eric Breitinger, Redaktion saldo