|
Lebensmittel für Kinder - Zu süß, zu salzig, zu fettig
Neunzig Prozent der untersuchten Lebvensmittel sind laut WHO eigentlich nicht gesund für Kinder.
- Die allermeisten Lebensmittel, deren Werbung sich an Kinder richtet, sind laut einer Studie von Foodwatch nicht gesund. - Neun von zehn Produkten seien demnach zu süß, zu salzig oder zu fettig. - Experten warnen seit Jahren vor den Spätfolgen falscher Ernährung im Kindesalter, vor allem Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Ziele und Versprechen der freiwilligen Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie beim Kindermarketing klingen zwar gut - viel Wert sind sie aber offenbar nicht. Das legt zumindest eine Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch nahe. Demnach versuchen die Konzerne fast ausschließlich, ungesunde Lebensmittel gezielt ans Kind zu bringen.
Als ausgewogene Lebensmittel galten dabei Produkte, deren Zusammensetzung den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen. 90 Prozent aller untersuchten Erzeugnisse, die sich im Regal mit bunten Bildern oder Gewinnspielen auf der Verpackung an Kinder wenden, verfehlten diese Vorgaben aber. Sie enthielten demnach zu viel Zucker, Fett oder Salz.
Kinderlebensmittel Süße Versuchungen Insgesamt untersuchten die Autoren der Studie 281 Produkte von Konzernen, die den sogenannten "EU-Pledge", eine Selbstbeschränkung, unterzeichnet haben. Mitgetragen wurde die Studie von der Deutschen Adipositas Gesellschaft, der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der Deutschen Diabetes Hilfe. Die freiwillige Selbstbeschränkung soll seit 2007 in der Lebensmittelbranche die speziell an Kinder gerichtete Werbung regulieren. Die Konzerne wie Coca-Cola, Kellogg's, Danone, Nestlé und Ferrero versprechen darin, Lebensmittel für Kinder verantwortungsvoll zu bewerben.
In der Praxis bewirkt das aber offenbar wenig: "Am wenigsten schlecht haben Konzerne wie Burger King und McDonald's abgeschnitten", sagt Oliver Huizinga, Experte für Kindermarketing bei Foodwatch. "Das sagt viel aus über die anderen Konzerne." Die Branche inszeniere sich zwar im Kampf gegen Übergewicht bei Kindern, vermarkte aber zugleich weiterhin Süßigkeiten und Junkfood an sie.
Klare und verbindliche Regeln "Die Ernährungsgewohnheiten lernt man in den Kinderjahren", sagt Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Genau hier fehle es aber an Aufklärung. 15 Prozent der deutschen Kinder gelten als übergewichtig, mehr als sechs Prozent sind sogar fettleibig. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2006, neuere Erhebungen gibt es nicht.
Gemeinsam fordern die Initiatoren der Untersuchung deshalb klare Regeln für die gesamte Lebensmittelbranche. Denn nur ein Bruchteil der Unternehmen habe die Selbstverpflichtung überhaupt unterschrieben. Zudem reichten die im "EU-Pledge" festgelegten Grenzen nicht aus, um Kinder vor Risiken wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen zu schützen. Demnach dürfen Frühstücksflocken für Kinder beispielsweise zu einem Drittel aus Zucker bestehen, während die Gesundheitsexperten der WHO maximal 15 Prozent Zucker als für Kinder geeignet ansehen.
Kinder können die Mechanismen der Werbung noch nicht durchschauen - die Lebensmittelhersteller nutzen das auf immer raffiniertere Weise aus
- Wie die Konzerne an den Kleinen verdienen - Viel Zucker bringt viel Umsatz - Nestlé senkt den Zuckeranteil in Frühstücksflocken. Nun sind diese nicht mehr extrem süss, sonder nur noch sehr süss. - Selbst wer statt Flocken eine "Mousse au Chocolat" zum Zmorge essen würde, nähme nicht mehr Zucker zu sich.
Immer mehr Kinder sind zu dick - und die Hauptschuld daran trägt laut einer Foodwatch-Studie die Lebensmittelindustrie. Der Vorwurf: Mit Werbung, Lobbyarbeit und viel zu süßem und fettem Kinderessen machen die Konzerne die Kleinen zu Junk-Food-Junkies.
Gesunde Ernährung ist kinderleicht, jedenfalls in der Werbung: "Mein Körper braucht Eiweiß, Kalzium und Vitamine. So werde ich groß und stark und fleißig wie eine Biene. In der Milch und in Paula-Pudding find ich diese guten Sachen." So wirbt z.B. Dr. Oetker im Internet für seinen süßen Kinderpudding "Paula", der laut Foodwatch pro Becher so viel Zucker enthält, wie fünf bis sechs Stücke Würfelzucker. Paula ist ein Paradebeispiel im Report "Kinder kaufen".
Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat für den Bericht 1500 Kinderlebensmittel wie "Paula-Pudding", "Pom-Bär" oder "Honey-Bss" untersucht und festgestellt: Extrem süße und fettige Snacks machen den Großteil aus - egal ob Bio oder konventionell. Das Fazit: Eine ausgewogene Ernährung aus den Kinderlebensmitteln zusammenzustellen, ist praktisch unmöglich. Der Bericht will aber mehr als einzelne Produkte anzuprangern: Detailliert wird aufgelistet, mit welchen Methoden die Lebensmittelindustrie ihre Lobbyarbeit betreibt und warum sie ein Interesse daran hat, kalorienreiche Lebensmittel an die Kleinen zu verkaufen, die aus wenigen billigen Grundstoffen hergestellt und mit vielen künstlichen Zutaten aufgepeppt werden.
Viele der Ergebnisse, die Foodwatch auflistet, sind nicht neu: Zahlreiche Studien haben schon in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die meisten Lebensmittel, die speziell für Kinder hergestellt werden, zu süß und zu fettig sind - der Report zitiert aus diesen Studien. Erschreckend ist aber die Kombination verschiedener Befunde: Die Konzerne, so analysiert der Bericht, legen es darauf an, Kinder schon so früh wie möglich an ihre Marken zu binden und ihnen ungesunde Snacks zu verkaufen; indem sie Hunderte Millionen Euro in kindgerechte Werbung investieren, die Verantwortung für übergewichtige Kinder von sich weisen, unliebsame Gesetze mit wirksamen Lobbymethoden verhindern und billig hergestellte Lebensmittel teuer verkaufen.
Kinderlebensmittel stellen Ernährungspyramide auf den Kopf Das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund hat schon vor Jahren festgestellt, dass der Markt für Kinderlebensmittel rasant wächst. Das Institut führt seit 1985 eine Lebensmitteldatenbank, in der mittlerweile 12.000 Produkte gelistet sind, die von Kindern verzehrt werden. Foodwatch ist zwischen April 2011 und Februar 2012 in Berliner Supermärkten und im Internet auf die Suche nach solchen Lebensmitteln gegangen, die sich durch "Aufmachung oder Platzierung durch den Hersteller" an Kinder richten. Zum Beispiel den "Monster Backe Knister" von Ehrmann, laut Werbung mit "gesundem Joghurt", in Wirklichkeit aber auch mit 15 Prozent Zucker.
1514 Produkte haben die Verbraucherschützer auf ihren Nährwert untersucht. Sie orientierten sich dabei an der Ernährungspyramide des aid Infodienstes, der vom Bundesernährungsministerium gefördert wird. Die Pyramide zeigt in Ampelfarben, welche Mengen bestimmter Lebensmittelgruppen von Kindern verzehrt werden sollen. Die von Foodwatch untersuchten Kinderlebensmittel stellen die Pyramide auf den Kopf: Fast drei Viertel der Produkte fallen in die "rote" Kategorie der "süßen und fetten Snacks" und sollten nur wenig gegessen werden. Aber selbst in der "grünen" Kategorie finden sich Obstsäfte und Schorlen wie Eckes-Graninis "Frucht-Tiger", der pro Viertelliter-Flasche laut Foodwatch 5,5 Stücke Würfelzucker enthält.
Kinderfang mit Werbetricks Besonders krass ist das Missverhältnis zwischen Werbung und Inhalt bei Frühstücksflocken: Egal ob Bio oder konventionell - 96 Prozent der untersuchten Produkte gehören laut aid-Definition in die "rote" Kategorie, weil sie zu 25 bis 50 Prozent aus Zucker bestehen. Egal ob "Honigkugeln" oder "Froot Loops", die als "wertvoll" und "natürlich" angepriesenen Frühstückscerealien, seien nichts anderes als "süße Snacks", schreibt Foodwatch.
Besonders harsch fällt die Kritik der Verbraucherschützer an der Werbung aus: Kinder und Jugendliche seien überall der Reklame ausgesetzt. Nicht nur in klar erkenntlichen Spots in Kino, Fernsehen, Radio sowie Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch mit mehr oder weniger versteckten Botschaften in sozialen Netzwerken oder Smartphone-Apps wirbt die Industrie für ihre Produkte. So lancierte Capri-Sonne bei Facebook den Wettbewerb "Superfan": Kinder wurden aufgefordert, selbst Werbung zu produzieren ("Sag uns, warum du Capri-Sonne liebst...") und Fotos hochzuladen, "von dir und deiner Capri-Sonne". |
|